Thomas Manns Monumental-Epos „Joseph und seine Brüder“

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Goethe fand die Erzählung zu Josef in der Bibel zu kurz. Von Thomas Manns Version könnte er das nicht mehr behaupten. Rund siebzehn Jahre schrieb der Autor an seinem dicksten Werk; die beiden ersten Teile erschienen noch in der Heimat, bei S. Fischer, die letzen dann im Exil.

Buchumschlag des letzten Teils von 1943

Kurzer Abriss von „Joseph und seine Brüder“

Alles beginnt mit der Höllenfahrt – einem Exkurs  u. a. über das Erzählen; ein Thema, das immer wieder aufgegriffen wird, vom Erzähler, von den Figuren.

Es folgt die Geschichte Jakobs – des Vaters. Hier wie in der Geschichte Josefs selber geht es um Themen, die immer wieder kommen, menschliche Themen, die immer schon das Leben bestimmten: Bruderzwist ist darunter das ganz große – Jakob und Esau sowie eben: Josef und seine Brüder …

Im nächsten Band geht es um Joseph, der als eitler Junge und verzärtelter Lieblingssohn den Groll der Halbbrüder so weit auf sich zieht, dass sie ihn verkaufen – aus dem Herrensöhnchen wird ein Sklave. So wie Mann den Jungen schildert, kann man das glatt nachvollziehen – ein Petzer ist er und wahsinnig von sich eingenommen.

Im dritten und längsten Teil landet er in Ägypten, im Hause des Potiphar. Das Leben im Haus dieses Würdenträgers wird breit ausgemalt, mit lebendigen Figuren, kauzig, liebens- oder bemitleidenswert, ein ganzer Kosmos, in dem Joseph sich seinen Platz erarbeitet. Die Leidenschaft von Potiphars Frau für ihn begründet Mann, er zeichnet ihre Zerrissenheit, die lange Dauer ihrer emotionalen Überforderung – sie ist gut zu verstehen, diese Frau mit ihrem unerfüllten Leben. Am Ende landet Joseph wegen ihrer falschen Anschuldigung im Gefängnis.

Im vierten Teil gelingt ihm der Aufstieg bis ganz nach oben. Er wird nicht nur Berater, sondern auch Freund des Pharao. Die große Hungersnot, die dank seiner Vorsorge in Ägypten relativ milde ausfällt, bringt ihn wieder mit seinen Brüdern zusammen, die vom Vater um Getreide nach Ägypten gesandt wurden. Naja, den Rest kennen Sie – Mann lässt die Szenen der Verwirrung, des Erkennens plastisch vor uns treten; geschenkt, das können Sie sich denken. Oder Sie haben das Werk selber schon gelesen …

Lektüreerlebnis

Wie das nun zu lesen ist? Hm. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich mit den ersten zwei- oder dreihundert Seiten von „Joseph und seine Brüder“ gekämpft habe. Lange jedenfalls. Ich habe für das ganze Werk fast ein Jahr gebraucht – mit zunehmendem Genuss und Tempo. Mann bedient hier viele Ebenen gleichzeitig – er erzählt eine Geschichte, er erzählt einen Myhos (nein, mehrere), er schildert den Vorgang des Erzählens, er macht sich lustig und er kreiert herrliche Wörter und Bilder.

Was mir in Erinnerung geblieben ist? Die Bolde z. B. Dass Sie nicht wissen, was das sein soll – völlig verständlich. Mir sind sie nur deshalb aufgefallen, weil ich einigen der Sorte schon im Studium begegnet bin; der von mir geschätzte Professor Eckhard Grunewald war bekannt für seine bildhafte Sprache und er nannte Vögel mal „gefiederte Lärmbolde“. Auch „Tugendbolde“ kamen bei ihm vor. Kein Wunder, dass mir Manns Altertums-, Würde- und Tückebolde auffielen. Als weiterer Begriff ist bei mir das Kosewort des Pharao für seine junge Frau hängen geblieben: Mein Morgenwölkchen, goldumsäumt.  Hach ja …

Die Lektüre eines solchen Monumentalwerkes lässt sich nicht in ein paar Sätzen wiedergeben. Wenn ich an das Buch denke, verbinde ich es mit einem Gefühl – ein bisschen erheitert, durchaus belehrt (was Mann sich da an Faktenwissen draufgeschafft hat – unglaublich) und sehr nachdenklich gemacht über die Geschichten, die alle Menschen verbinden. Doch, das Lesen hat sich gelohnt, auch nach den Anfangsschwierigkeiten.

Ach ja, ich wollte immer noch mal die Höllenfahrt nachlesen, mit dem dann noch vorhandenen Restwissen der Gesamtlektüre – da habe ich ja wieder was Schönes vor.

Eine mögliche Ausgabe: Thomas Mann: Joseph und seine Brüder, Frankfurt 2007, ISBN: 9783100483911

Eine Einführung aus Theologensicht bietet Friedemann W. Golka, der sich häufiger mit Manns biblischen Geschichten auseinandersetzte.

Rezensionen ab Mai 2013 erscheinen in meinem Literaturblog Kölner-Leselust.de.

2 Antworten

  1. Luchen

    Oha, den dicken Mann-Romanen bin ich immer aus dem Weg gegangen – ich schätze die Erzählungen sehr.

    • Recherche-Meisterin

      Mit denen habe ich auch angefangen, als ich ernsthaft Mann lesen wollte. Als Jugendliche habe ich mal Zauberberg und Dr. Faustus gelesen – nix ist hängengeblieben. In einem Literaturkreis habe ich eben den Erwählten gelesen – der gefällt mir besonders gut.

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