Am letzten Wochenende war ich zu einem Netzwerktreffen in Wien. Tolles Wetter verschönte den Literaturspaziergang am Vormittag. Nachmittags stand dann der Prunksaal der ÖNB,also der Österreichischen Nationalbibliothek, auf dem Programm. Lassen Sie es sich gesagt sein: Egal wie beeindruckend Bilder aus solchen historischen Bibliotheken aussehen, sie kommen an die Realität nicht ran!
Hier erst mal ein paar Zahlen und Fakten zum Prunksaal der ÖNB:
Innerhalb von nur drei Jahren wurde diese Bibliothek in den Jahren 1723-1726 errichtet, eingerichtet und ausgemalt. Die Fresken in der Kuppel und in den Flügeln stammen von Daniel Gran, der damit ein Bildprogramm von Conrad Adolph von Albrecht umsetzte – alles zum Lob der Herrschaft Karls VI. So heißt zum Beispiel die Seite der Bibliothek, die den Zugang für Kaiser und Hof beherbergt, der Friedensflügel, während der öffentlich zugängliche Teil der Bibliothek als „Kriegsflügel“ ausgeschmückt ist: Der Kaiser sorgt halt dafür, dass die Wiener in Frieden leben können. Das wird auch in der lebensgroßen Skulptur des Herrschers deutlich, die im Zentrum unterhalb der Kuppel steht: Apotheose des Herrschers oben im Fresko und Balance zwischen Krieg und Frieden in der Körperhaltung:

Das Gebäude selbst wirkt trutzig und massiv – es war die Zeit kriegerischer Bedrohung und selbst eine Bibliothek sollte vermitteln: Hier steht man in Wehr und Waffen. Die Architektur des Josephsplatzes entspricht den Anforderungen einer Place Royale – drei gleichartige Gebäudeflügel und auf dem Platz ein Reiterdenkmal des Herrschers.
Heizung, Klima & Co
Als wir die Bibliothek jetzt zu Ende September besuchten, war es darin muckelig warm.

Schließlich ging draußen der Sommer zu Ende. Da hat sich die Bibliothek aufgeheizt. Im Winter dagegen kann es schon mal passieren, dass nur 6° Celsius herrschen. Der Prunksaal wird heutzutage (!) nicht geheizt. Da die Bücher geschlossen in den Regalen stehen, geht das. Die Heizsysteme früherer Zeiten waren schädlicher. Insgesamt gibt es acht „Sternräume“, die sich hinter den Bücherregalen verbergen – so richtig mit einem Türmechanismus, der das ganze Regal bewegt (einige dieser Türen standen offen, als wir da waren – beeindruckend, wenn da auf einmal ein Teil eines Regals diagonal steht). Darin waren zu Anfang Heizbecken mit heißen Kohlestücken aufgebaut – denken Sie sich so etwas wie Ihren Gartengrill mit Holzkohle. Außerdem gab es darin je einen Schreibtisch und eine Auswahl an Büchern. Die waren mit einem Stern markiert – daher der Name dieser Zimmer.
Der Prunksaal der ÖNB ist für rund 200.000 Bücher ausgelegt. Die Bücher sind dabei nicht nach Themen – es gibt z. B. Kochbücher, auch Kinderbücher und natürlich Reiseberichte, Juristisches und Verwaltungstechnisches, Bibeln und liturgische Bücher – sortiert, sondern nach Größe: Die sogenannte Christbaumaufstellung ordnet die großformatigen Bücher unten ein und je weiter nach oben im Regal es geht, desto kleiner werden die Formate:

Um etwas bestellen zu können, muss der Bibliothekarin die „Bücherschranknummer“ (s. Bild: Bücherschrank XII), die Regalbrettnummer (die sind von unten nach oben durchnummeriert) und der Standort auf dem Regal angegeben werden: Bücherschrank 12, Regalbrett 10, viertes Buch von links …
Aber keine Angst – heutzutage können Sie das alles online recherchieren und müssen nur eine Signatur angeben:

Wie unsere Führerin, die Kunsthistorikerin Emmi Franke, uns erzählte, kann man diese alten Schätze in einen besonderen Lesesaal bestellen. Dort darf man dann nur mit weißen Handschuhen – die werden gestellt – und Bleistift rein. Es gibt nämlich tatsächlich Leute, die meinen, in den Büchern von Bibliotheken herumschreiben zu müssen, selbst in solchen Antiquitäten – ich fass es nicht! Im Lesesaal gibt es auch eine Aufsicht, die erhöht sitzt, um alles im Blick behalten zu können.
Digitalisierung der Bestände der ÖNB
Übrigens sind auch die Bestände des Prunksaals Bestandteil des Programms, mit dem Google Bibliotheksbestände digitalisiert. Das Ergebnis sehen Sie dann bei der Quicksearch im OPAC der ÖNB (das hat sich inzwischen geändert, H. B. im Juni 2022): so eine Art Karussell, auf dem die Titelblätter nach vorne geschoben werden – unten erscheinen dann die wichtigsten Angaben.

Ein angeklickter Titel präsentiert sich dann so:

Prinz Eugens Bücher in der ÖNB
Wie Emmi Franke uns erzählte, waren die Habsburger insgesamt gute Büchersammler – sie haben das ernst genommen und die Bibliothek ständig erweitert. Ein besonderes Schicksal hatten die Bücher von Prinz Eugen von Savoyen. Er war ein sehr belesener Mann und besaß rund 15.000 Bücher (außerdem waren da noch eine Kunstsammlung und jede Menge Güter usw.). Da er ohne Nachkommen starb, erbte seine Nichte Anna Victoria von Savoyen, die im Kloster lebte, alles. Das mit dem Kloster war damals anscheinend noch nicht so eine endgültige Angelegenheit: Sie verließ das Kloster, heiratete und begann, ihr Erbe auszugeben: Sie spielte gern Karten, trank, ihr Mann – wesentlich jünger und verschwenderisch veranlagt – brachte auch einiges durch. (Übrigens währte diese Ehe nicht lange – sie endete mit einer Scheidung!) Maria Theresia schloss mit der Erbin einen Handel ab: Sie erhielt die kostbare Bibliothek Prinz Eugens, so wie einige Güter, dafür bekam Anna Victoria eine gute Apanage mit zwei Wohnsitzen. So konnten die 15.000 Bände von Prinz Eugen – der sie alle einheitlich hatte binden lassen (15.000 Ziegen seien dafür gestorben, hat mal jemand ausgerechnet) – der Bibliothek einverleibt werden. Sie stehen heute alle als Sammlung Eugeniana im Oval des Prunksaals der ÖNB. Die Kunstsammlung des Prinzen ist nicht wieder herstellbar …

Die ÖNB insgesamt gehört zu den bedeutendsten Bibliotheken Europas – nach Vatikan, London und Paris. Zu ihr gehören auch das Globenmuseum – einige Paare davon stehen auch im Prunksaal -, das Papyrusmuseum und das Esperantomuseum.
Es war eine tolle Führung in einer wunderschönen Bibliothek. Vielleicht suche ich mir im OPAC mal was, das ich mir beim nächsten Wienbesuch in den Lesesaal bestelle.
Maria Meurer
Sehr informativer und schöner Artikel über die ÖNB!
Jutta
Danke, liebe Heike! Da ich mir terminbedingt den Prunksaal nur im Alleingang ansehen konnte, freue ich mich, jetzt auf diesem Weg Eure Tour nachvollziehen und noch so viel Interessantes erfahren zu können.
Wie immer ist alles kompetent aufbereitet und anschaulich dargestellt – eben so, wie wir es von Dir kennen.