Ein Monolog von 120 Seiten – ein alter Mann erzählt. Aber wie! Anlass ist die „Krönung seiner wissenschaftlichen Laufbahn“, wie er es ironisch nennt – er bekommt für eine Entdeckung aus Laborzeiten einen Preis verliehen. Sein Leben gerät aus dem gewohnten Trott – darüber sinniert er. Seine Entdeckung von vor Jahrzehnten? Er hat keine Erinnerung daran.
Dafür erinnert er sich an Einzelheiten seines neunundachzigjährigen Lebens – an die Zähne seiner Frau, an den abgestandenen Tee damals im ungeheizten Labor, an seine große Liebe Maria Elena, an seine Schwester Louise, die vor Jahrzehnten, am Abend ihrer Verlobung, mit einem Bischof auf und davon ging und nichts mehr von sich hören ließ.
Er begegnet Menschen: Der Frau seines ehemaligen Kollegen, den er aus einer spontanen Regung heraus besuchen wollte. Seinem Bruder, der Bücher schreibt und in einer Buchhandlung sitzt und signiert. Einer jungen Reporterin, die ihn interviewt – nicht zu seiner wissenschaftlichen Leistung, sondern weil er der Bruder des berühmten Autors ist – ein Schlag für seine Eitelkeit, wie er selbst nüchtern feststellt. Seinem Sohn, der auf Anraten der Haushälterin für den großen Anlass mit seinem Vater einkaufen geht. Emotionale Nähe zwischen Vater und Sohn? Fehlanzeige.
Ums Praktische in seinem Leben kümmert sich Madame Abrunaz, besagte Haushälterin. Sie kocht und versorgt die Wäsche, sie gehört zu seinem Leben – bis hin zu der Tatsache, dass sie ein gemeinsames Grab mit schöner Aussicht erworben haben.
Es ist ein kurzer Roman, eher eine Novelle, schwebend in der Stimmung – mal traurig, mal melancholisch, mal ironisch-distanziert und mal komisch. Andeutungen genügen. Véronique Bizot walzt nichts aus – weder das Tragische noch das Komische. Das macht diese Büchlein zu einem stillen Vergnügen.
Véronique Bizot: Meine Krönung, Steidl, Göttingen 2011, übersetzt von Claudia Steinitz, ISBN: 9783869302300
Rezensionen ab Mai 2013 erscheinen in meinem Literaturblog Kölner-Leselust.de.
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