Interview mit Dr. Maike Claußnitzer zu ihren Fantasy-Romanen

Liebe Maike, deine Bücher habe ich in meinem Bücherblog ja schon mehrfach erwähnt (ein paar Beispiele: Rezension zu „Der Ringeltaubenmantel„, Interview zur Welt von Aquae Calicis, Rezension „Tricontium„) . Jetzt wird es mal Zeit, ein bisschen hinter die Kulissen zu schauen, finde ich. Denn schließlich ist nicht der ganze Inhalt reine Fantasie, sondern hinter deinen Geschichten steckt, soweit ich das erkennen kann, fundiertes historisches Wissen. Hier kommen also meine Fragen:

Fangen wir mal mit deiner Ausbildung an: Was hast du studiert?

Maike Claußnitzer: Erst einmal vielen Dank für die Einladung zum Interview!

Studiert habe ich Germanistik und im zweiten Hauptfach Geschichte. In beiden Fächern ist das Mittelalter im Laufe meines Studiums zum Schwerpunkt geworden, in der Germanistik hat es dann auch mein Promotionsthema geliefert.

Was hat dich an deinen Fächern fasziniert – mit anderen Worten: Warum hast du genau das studiert?

Maike Claußnitzer: Neben lebhaftem Interesse an der Vergangenheit und Freude daran, mit Texten zu arbeiten, hat mich wohl vor allem eines zu den beiden Fächern hingezogen: die Dauerhaftigkeit ihrer Gegenstände. Auch wenn man nicht gleich Horaz bemühen möchte, der seine Dichtung als monumentum aere perennius – als „Denkmal dauerhafter als Erz“ – beschreibt, haben sowohl literarische Texte als auch historische Quellen das Potenzial, ihre Relevanz über erstaunlich lange Zeit zu bewahren. Anders als z. B. bestimmte technische Kenntnisse, die vielen Leuten sicher unmittelbar nützlicher erscheinen, aber schnell obsolet werden können, wenn die Entwicklung weitergeht, behält literarisches und historisches Wissen seinen Wert.

Porträt Maike Claußnitzer: Frau mit dunklem kinnlangem Haar, blauem Pulli mit Blusenkragen darüber und blauer Kette vor Baumhintergrund
Dr. Maike Claußnitzer, Foto: privat.

In deinen Büchern mischen sich ja deine historischen Kenntnisse mit Fantasie-Elementen und Anachronismen, zum Beispiel, dass es in deiner Welt bereits Tee und Papier gibt.

Maike Claußnitzer: Das stimmt, und daher kann ich auch alle nur bitten, meine Bücher nicht mit um ein paar Fantasyelemente ergänzten historischen Romanen zu verwechseln. Ich gehe sehr frei mit der Inspiration um.

Recherchequellen von Maike Claußnitzer

Woher beziehst du dein Wissen über die Alltagskultur der Spätantike in Austrasien? Also Kleidung, Bewaffnung, Wohnsituation und Handel.

Maike Claußnitzer: Es gibt über Spätantike und Frühmittelalter sehr gute Überblickswerke (zu den Merowingern etwa von Martina Hartmann, zum Frühmittelalter allgemein z. B. von Hans-Werner Goetz), die einen ersten Einblick in die Kulturgeschichte der Zeit ermöglichen.

Für Detailfragen noch nützlicher finde ich aber einerseits Fachliteratur zu Einzelthemen (also beispielsweise Aufsätze in Fachzeitschriften oder Tagungsbänden), andererseits insbesondere in Bezug auf die materielle Kultur Ausstellungskataloge, die Bilder archäologischer Funde und Rekonstruktionsdarstellungen enthalten. Museumsbesuche können auch hilfreich sein, um bestimmte Gegenstände wie Schmuck oder Waffen im Original sehen zu können, aber das sind immer nur einzelne Versatzstücke. Wenn man Näheres erfahren möchte, kommt man um die wissenschaftlichen Texte nicht herum.

Was sich übrigens auch lohnen kann, ist, Biographien historischer Persönlichkeiten aus der Zeit, über die man recherchiert, zu lesen – und zwar sowohl moderne als auch zeitgenössische (z. B. hagiographische Texte oder auch weltliche, für das Frühmittelalter etwa Einhards Lebensbeschreibung Karls des Großen). Wenn das ganze Leben eines Menschen erzählt wird, findet am Rande immer viel Alltägliches Erwähnung, auf das man achten kann.

Eine wie große Rolle spielt deine wissenschaftliche Ausbildung bei deinen Recherchen?

Maike Claußnitzer: Eines vorab: Ich glaube nicht, dass man ein Studium oder gar eines speziell in meinen Fächern braucht, um Recherchen für einen Roman zu betreiben.

Zwei Vorteile hat man dadurch aber vielleicht doch, einmal den, dass Recherchetechniken wie die Suche nach Literatur und Quellen eben schon im Studium eingeübt werden, dann aber auch den, dass man bestimmte Texte (ob nun literarische oder wissenschaftliche) bereits kennengelernt hat. Wenn man schon im Voraus weiß, dass in dieser Dichtung oder jenem Überblickswerk bestimmte Themen eine Rolle spielen, hat man schnell Ansatzpunkte, um tiefer einzusteigen, und muss nicht erst mühsam feststellen, welche Ressourcen überhaupt zur Verfügung stehen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Welche Kenntnisse über die römische Kultur und deren Niedergang nutzt du?

Maike Claußnitzer: Latein war in der Schule eines meiner Lieblingsfächer und die Antike der zweite Schwerpunkt neben dem Mittelalter in meinem Geschichtsstudium. Das alte Rom beschäftigt mich also schon lange, literarische Texte mit inbegriffen (direkte oder abgewandelte Zitate daraus lege ich manchmal meinen Figuren in den Mund).

Für den Übergang von der Römerzeit zum Mittelalter habe ich festgestellt, dass es hilfreich sein kann, nicht nur das große Gesamtbild zu sehen, sondern die Entwicklung einzelner Orte und Gebäude zu betrachten, die ja nicht alle mit dem Ende des (west-)römischen Reichs von der Bildfläche verschwanden, sondern oft in veränderter Form weitergenutzt wurden. Ein Paradebeispiel dafür ist das Amphitheater im französischen Arles, das im Frühmittelalter zu einer befestigten Siedlung umgebaut wurde.

Greifen, Trolle und Gespenster – das magische Personal

Wie kommst du an deine wunderbaren Fantasy-Gestalten, also Drachen, Greife, Trolle und Geister? Denkst du sie dir alle alleine aus oder nutzt du auch hierfür historische Vorlagen?

Maike Claußnitzer: Natürlich sind die Fabelwesen und Gespenster, die meine Bücher durchstreifen, von Vorbildern in der Literatur und in der bildenden Kunst inspiriert. Ich habe schon immer gern Sagen, Märchen und mythologische Texte gelesen, daneben natürlich auch davon inspirierte Fantasy aller Art.

Ich müsste allerdings lügen, wenn ich behaupten wollte, über diese Wesen so genau zu recherchieren wie über realweltliche Details. Ich lese durchaus Fachliteratur zum Thema (Rudolf Simeks literaturwissenschaftliche Monographie Trolle und Adrienne Mayors The First Fossil Hunters – ein Buch darüber, wie Fossilfunde die Menschen der Antike zu Geschichten über bestimmte Fabelwesen inspiriert haben könnten – kann ich wärmstens empfehlen).

Aber da man ja nicht im eigentlichen Sinne die Wahrheit über imaginäre Geschöpfe ermitteln kann, fühle ich mich frei, sie so zu interpretieren, wie sie mir gefallen, und damit in aller Regel freundlicher und niedlicher, als sie traditionell oft sind.

Welche Tools und Angebote nutzt du für deine Recherche? Bist du eher analog oder digital unterwegs?

Maike Claußnitzer: Viele Einzelheiten schlage ich zwar nach wie vor in Büchern nach, aber im Laufe der Jahre hat die Onlinerecherche für mich immer weiter an Bedeutung gewonnen.

Eine wichtige Ressource für mich ist JSTOR als digitales Archiv, das Zugang zu Fachzeitschriften bietet (derzeit sogar für bis zu 100 Artikel im Monat kostenlos). Hier kann man zu den historischen und literaturwissenschaftlichen Themen, die für meine Recherchen wichtig sind, viele Artikel finden.

Auch über Google Scholar kann man manchmal direkt online zugängliche Fachtexte finden.

Nützlich für mich ist auch, dass immer mehr Museen – sei es auf ihren eigenen Websites, sei es bei Google Arts & Culture – Stücke aus ihren Sammlungen digital zugänglich machen und erläuternde Texte, Videos oder Podcasts anbieten.

Kleiner Tipp von mir (H. B.): Die Sammlungen des Metropolitan Museum of Art – da gibt es auch gemeinfrei zu verwendende Abbildungen!

Maike Claußnitzer: Eines finde ich bei der Internetrecherche übrigens besonders wichtig: Wenn man Fremdsprachenkenntnisse hat, sollte man sie nutzen. Falls man über ein bestimmtes Thema auf Deutsch nichts findet, hat man oft mehr Glück, wenn man auf Englisch oder auf Französisch sucht (gerade zum Frankenreich haben die französischsprachige Forschung und auch Museen in Frankreich und Belgien viel zu bieten).

Gibt es irgend ein hübsches Schmankerl, das du zum Thema Recherche zu deinen Büchern mit uns teilen magst?

Recherche mit Genuss

Maike Claußnitzer: Wortwörtlich ein Schmankerl? Da gibt es tatsächlich etwas.

Bei einer meiner Geschichten stand ich vor der Frage, ob ich eine Süßspeise auftauchen lassen könnte, die auch aus heutiger Sicht noch ein leckeres Dessert wäre. Denn es ging mir in dem Zusammenhang nicht darum, Fremdheit durch für uns ungewöhnliche kulinarische Vorlieben zu erzeugen, sondern um das kultur- und zeitenübergreifende Mitempfinden der Vorfreude einer Figur auf ein bestimmtes Gericht bei einem Festessen.

Hier hat das unter dem Namen des Apicius überlieferte römische Kochbuch De re coquinaria weitergeholfen, das in seiner heutigen Form wohl etwa im 4. Jahrhundert entstand und im Frühmittelalter noch bekannt war (immerhin ist es in karolingerzeitlichen Handschriften überliefert). Unter den verschiedenen Speisen, die darin als patina (eigentlich „Pfanne“ oder „Schüssel“, aber auch „Auflauf“) bezeichnet werden, sind tatsächlich einige mit Honig gesüßte, die wir wohl heute „Pudding“ nennen würden und die von der Konsistenz her teilweise ähnlich wie eine moderne Crème brûlée werden. Es gibt eine Variante mit zerstoßenen Nüssen, Milch, Eiern und Gewürzen. Von Robert Maier, dessen Römisches Kochbuch eine der praxistauglichsten Apicius-Interpretationen ist, habe ich die Idee übernommen, dass man anstelle der Nüsse auch Mandeln verwenden könnte, und als Mandel-patina hat das Gericht dann seinen Weg in die Geschichte gefunden.

Man sieht also: Recherche kann durchaus ein Genuss sein.

Liebe Maike, vielen Dank für diese Einblicke in deine Arbeit. Ich habe nun schon eingie Zeit sehr viel Freude an deinen Büchern und lege sie allen ans Herz, die gern mal mit Greifen kuscheln wollen 😉

Dr. Maile Claußnitzer schreibt nicht nur Romane und Geschichten, sie ist im Hauptberuf Übersetzerin. In ihrem Blog Ardeija stellt sie ihre Lektüre vor, erzählt aus ihrem Schreiballtag und dort gibt es auch eine Liste der von ihr übersetzten Werke.

  1. Maike Frie

    Spannende Hintergrund-Einblicke! Danke dafür, euch beiden. Maikes Geschichten lese ich auch sehr gerne – insbesondere die klischeedurchbrechenden Rollenverteilungen gefallen mir sehr gut.
    Viele Grüße
    Maike

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