Mir hat die Sache mit den Übersetzungshilfen keine Ruhe gelassen und ich habe eine Fachfrau befragt: Marion Schweizer, freiberufliche Lektorin und geprüfte Fachübersetzerin. Ihr habe ich ein paar Fragen rund um Maschinenübersetzungen gestellt – denn das sind diese Übersetzungshilfen schließlich:

H. B.: An welchen Herausforderungen scheitert eine maschinelle Übersetzung besonders gern?
Marion Schweizer: In der Sprachrichtung von Englisch zu Deutsch scheitern Übersetzungsmaschinen vor allem an der Syntax, an der Idiomatik und an mehrteiligen Fachbegriffen. Häufig sind auch Bezüge falsch, d. h. Verben oder abhängige Nebensätze beziehen sich in der deutschen Übersetzung plötzlich auf eine andere Sinneinheit als im englischen Quelltext. Oft wird auch das sehr spezielle Wörtchen it, das im Deutschen je nach Genus des Bezugsworts er, sie oder es bedeuten oder sich gar auf einen ganzen Sachverhalt beziehen kann, falsch zugeordnet bzw. stereotyp als es wiedergegeben. Solche Dinge können im Ernstfall zu fatalen Missverständnissen und schlicht zu Unverständlichkeit führen.
Die Syntax unterscheidet sich in den beiden Sprachen sehr stark. Vor allem mit der deutschen Verbklammer, die das Hilfsverb beim Subjekt, das Hauptverb aber ganz woanders verortet, sind Übersetzungsmaschinen meiner Erfahrung nach häufig überfordert. Oft werden auch mehrteilige Fachbegriffe nicht erkannt, sondern die Einzelteile separat übersetzt. So wird z. B. aus A fundamental interpretative legal principle in einem Rechtstext bei DeepL Ein grundlegendes interpretatives Rechtsprinzip statt, wie es korrekt wäre, Ein Grundprinzip der Rechtsauslegung.
H. B.: Das mit der Verbklammer find ich richtig gut erläutert. Die Erfahrung mit den mehrteiligen Fachbegriffen ist bei der Literaturrecherche ja durchaus wichtig. Warum scheitert eine Maschinenübersetzung gerade bei längeren Sätzen?
Marion Schweizer: Dazu muss man wissen, wie Übersetzungsmaschinen vorgehen. Bei den ersten Entwicklungen hat man noch versucht, die Übersetzungen anhand von Einzelwortübersetzungen und Grammatikerkennung zu synthetisieren. Diese Versuche landeten schon bald in einer Sackgasse: Man kam einfach nicht über ein bestimmtes – für jeden erkennbar äußerst mangelhaftes – Niveau hinaus, im Wesentlichen aus zwei Gründen:
- weil Sprachstrukturen eben nicht logisch konstruiert, sondern historisch gewachsen sind
- weil es für vieles aufgrund kultureller Unterschiede nun mal keine 1:1-Entsprechung gibt.
Mit der Entstehung von „Big Data“, also riesigen Textmengen, die bereits von qualifizierten menschlichen Übersetzerinnen und Übersetzern verfasst, überprüft, lektoriert und in mehreren Sprachen im Internet zu finden waren, kam man irgendwann auf die Idee, die Übersetzungsmaschinen all diese Texte auf Übereinstimmungen durchsuchen und ihre Übersetzungen aus gefundenen Entsprechungen zusammensetzen zu lassen.
Das klappt desto besser, je kürzer, alltäglicher und eindeutiger die Sätze sind und je größer der Textkorpus ist, den die Übersetzungsmaschine durchsucht. Je kürzer ein Satz, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass er schon mal so oder zumindest sehr ähnlich irgendwo aufgetaucht ist und von einer qualifizierten Person übersetzt wurde.
Außerdem lassen sich in kurzen Sätzen einzelne Begriffe leicht austauschen, ohne die Grammatik des übrigen Satzes (z. B. durch ein verändertes Genus) durcheinanderzubringen. Bei längeren Sätzen wird die Suche nach vorhandenen Entsprechungen desto erfolgloser, je komplexer sie aufgebaut sind. Deshalb spalten Übersetzungsmaschinen lange Sätze in Sinneinheiten auf und suchen für diese nach einzelnen Entsprechungen. Die gefundenen Schnipsel werden anschließend zu einem deutschen Satz zusammengesetzt, und zwar so ziemlich in derselben Reihenfolge, in der sie im englischen Quelltext auftreten. Da sich aber die Satzstrukturen im Deutschen und Englischen gravierend unterscheiden, passieren an dieser Stelle die meisten sinnentstellenden Fehler – v. a. Bezugs- und Grammatikfehler, aber auch Bedeutungsfehler, wenn z. B. Nebensätze oder Orts- und Zeitangaben nun an einer falschen Stelle stehen. Von Stil und Verständlichkeit ganz zu schweigen.
H. B.: Gut, Stil ist bei Abstracts jetzt nicht so das Problem. Inwieweit kann eine Maschinenübersetzung für die grobe Orientierung in einem unbekannten Text hilfreich sein?
Marion Schweizer: Sicher kann man sich anhand einer maschinellen Übersetzung ein grobes Bild davon machen, worum es in einem Text geht. Je kürzer und schlichter die Sätze sind, desto besser funktioniert das. Das Problem ist, dass sich Laien von der relativ guten Lesbarkeit maschineller Übersetzungen leicht blenden lassen. Das Kriterium „liest sich gut“ ist eben nicht ausreichend, um die Qualität zu beurteilen. Wenn es also ins Detail geht, ist äußerste Vorsicht angebracht: Vor der Übernahme einzelner Aussagen sollte man die Übersetzung sehr misstrauisch überprüfen – insbesondere bei längeren, komplexen Sätzen. Also: Vertrauen ist gut (bei kurzen einfachen Sätzen), Kontrolle ist besser (mit steigender Komplexität).
H. B.: Liebe Marion, vielen Dank! Ich hab da jetzt ’ne Menge gelernt 🙂
Fazit
Solange es sich bei mehrteiligen Fachbegriffen nicht um juristische, historische oder soziologiesche Inhalte geht – mit anderen Worten: in den Naturwissenschaften 😉 -, können Übersetzungshilfen im WWW wohl tatsächlich bei der Literaturrecherche helfen, um Abstracts besser einordnen zu können. Doch Vorsicht ist geboten, besonders, wenn man sich in ein Thema neu einliest und mit der Terminologie noch nicht so vertraut ist. Denken Sie nur an die unterschiedlichen Übersetzungen eines Baumnamens in meinem gestrigen Beispiel.
Nach meiner Erfahrung empfiehlt es sich eher, einzelne Begriffe in einem Online-Wörterbuch nachzuschlagen. Selbst leo.org bietet schon ein breites Spektrum. Auch Pons habe ich dazu schon erfolgreich genutzt.
Noch ein paar Worte zu meiner Interviewpartnerin Marion Schweizer:
Marion Schweizer ist freiberufliche Lektorin und geprüfte Fachübersetzerin und erbringt verschiedene Textdienstleistungen für Politik und Wissenschaft, insbesondere auf den Politikfeldern Internationale Politik und Menschenrechte, Bildung, Entwicklung, Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Ihre Website heißt Textpraxis
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