In „meiner“ Buchhandlung liegt ein interessantes Buch aus: David Mitchell: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet. Ich habe es noch nicht gelesen; das kommt noch. Aber es hat mich an Bücher erinnert, die ich gern gelesen habe (und die großenteils nicht mehr oder nur antiquarisch zu kaufen gibt!): die Bücher von (Überraschung!) Hisako Matsubara.
Historischer Abriss bei Matsubara
In „Raumschiff Japan“ schildert sie den Abschnitt der Geschichte Japans, die auch in Mitchells Buch vorkommt: Die Zeit der Abschottung. Als Japan wie ein Raumschiff gut 200 Jahre lang nur auf eigene Ressourcen angewiesen war. Und – das ist ihr Anliegen – wie sich diese Erfahrung später auswirkt (ich schreibe extra nicht „bezahlt macht“, auch wenn die Auswirkungen starke wirtschaftliche Folgen haben): Das so genannte japanische Wirtschaftswunder nach der Öffnung im 19. Jahrhundert, noch mehr aber nach dem Zweiten Weltkrieg sind Folgen dieser langen Isolation.
„Dreißig Millionen Menschen mußten fünfzehn Generationen lang eng zusammengedrängt leben – auf einer Nutzfläche, die bei normalen Ernten gerade ausreichte, dreißig Millionen Menschen zu ernähren. Trotz dieser äußerst prekären Lage brachten die Japaner es zustande, mehr als zweihundert Jahre lang erstaunlich friedvoll und friedfertig miteinander zu leben. Dies wäre bestimmt nicht möglich gewesen, hätten sie nicht gleichzeitig dafür gesorgt, daß die sozialen Konflikte, die in jeder Gesellschaft schwelen, auf eine einfache Art und Weise entschärft worden wären: Es gab kein extremes Gefälle zwischen Arm und Reich. Der Wohlstand war breit gestreut.“
Nur auf das eigene Land angewiesen, ein Land, dessen großer Teil unbewohnbar und nicht als Ackerfläche genutzt werden kann, hat die japanische Gesellschaft Formen entwickelt, die innere Distanz bei großer räumlicher Nähe erlauben, eine differenzierte Wirtschaft, damit alle ihr Auskommen erhalten und ein ausgefieltes Distributionssystem, das nach der Öffnung 1:1 übernommen werden konnte.
Beispiele gefällig?
Es gab Hauptstraßen zwischen den Städten zum schnellen Transport von Waren und Informationen. An diesen Straßen gab es in bequemen Abständen nicht nur Hotels und Restaurants sondern dazwischen auch kleine Stationen – Klos! Diese wurden von den angrenzenden Dörfern „bewirtschaftet“: Sie wurden sauber gehalten und die Exkremente daraus durften die Dorbewohner zum Düngen nutzen. Die großen Stationen wuchsen im laufe der Zeit zu Städtchen heran. Als die Eisenbahn in Japan eingeführt wurde, konnten diese Hauptstraßen zu Bahntrassen umgenutzt werden; die alten Raststationen wurden Bahnstationen. Wer also in Japan auf einer der Hauptverkehrsstrecken mit dem Zug unterwegs ist, bewegt sich auf historischen Wegen.
Zu der Sache mit dem Dünger noch eins: In den großen Städten war jede Straße einem Dorf der näheren Umgebung zugeordnet – die Dorfbewohner kamen dann wöchentlich, um die Exkremente abzuholen für ihre Felder. Da Land so rar war, konnte nicht wie in Europa mit Dreifelderwirtschaft gearbeitet werden – brach liegen lassen konnte man keinen Acker, wenn alle Menschen ernährt werden sollten. Also musste dem Boden zugeführt werden, was der Ackerbau ihm nahm. Ein sorgfältig ausgeklügeltes System erlaubte so Sauberkeit in den Städten und bessere Erträge auf den Feldern – alle hatten was davon.
Oder der „Bildungsurlaub“: In den Dörfern gab es eine gemeinsame Kasse, aus der Reisen einzelner Vertreter (meist reisten sie zu zweit oder dritt) bezahlt wurden, um in anderen Landesteilen zu erkunden, welche Reissorten dort erfolgreich angebaut wurden oder welche Methoden bei der Herstellung von Handelswaren entwickelt wurden. So verbreiteten sich neue Erkenntnisse gleichmäßig über das ganze Land.
Matsubara schildert viele Einzelheiten des Lebens in Japan, damals und „heute“ (das Buch erschien 1986) und setzt sie kenntnisreich in Verbindung mit dem Japanbild des Westens. Sie hat lange in Deutschland gelebt, hat ihre Romane auf deutsch geschrieben und kennt sich in der Geschichte aller drei „Protagonisten“ aus: Japan, Europa und die USA.
Romane von Matsubara
Zuerst kennengelernt habe ich die Autorin mit dem Roman „Abendkranich“ – eine autobiographische Geschichte des Mädchens Saya, Tochter eines Shinto-Priesters, die mit ihrer Familie das Ende des Zweiten Weltkriegs und die unmittelbare Nachkriegszeit mit allen Veränderungen erlebt. In einer Rezension zu dem Buch bei Amazon schildert eine Leserin, sie habe alles wieder erkennen können und sogar den Bruder Sayas/Hisakos gefunden … In „Karpfentanz“ wird diese Familiengeschichte fortgesetzt.

„Brokatrausch„, „Glückspforte“ und „Brückenbogen“ sind weitere Romantitel von ihr, die ich im Laufe der Jahre gelesen habe. „Himmelszeichen“ müsste ich noch nachholen …
Was mich schon immer fasziniert hat, war die lange Spanne zwischen den einzelnen Büchern – Hisako Matsubara hat sich Zeit gelassen und sorgfältig gearbeitet. Sie ist eine große Erzählerin mit einem großen Hintergrundwissen. Ich empfinde ihre Bücher als eine gute Brücke zwischen Deutschland und Japan – sie schildert uns, die sie kennt, ihre Heimat so, dass wir sie besser verstehen können. Kyoto ist für mich ein Sehnsuchtsort. Irgendwann werde ich dahin reisen und schauen, was vom Seidenweberviertel noch da ist.
Rezensionen ab Mai 2013 erscheinen in meinem Literaturblog Kölner-Leselust.de.
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