Heute vor 63 Jahren wurden in Pakistan Menschen erschossen, weil sie sich gegen die offizielle Amtssprache Urdu mit Demonstrationen zur Wehr setzten – die Bevölkerung sprach zum großen Teil eben nicht Urdu, sondern hatte Bengalisch als Muttersprache. Im Jahr 1971 entstand dann Bangladesch – abgespaltet von Pakistan eben wegen der Sprache. Der 21.2. ist dort ein Tag, an dem der Märtyrer von 1952 gedacht wird. Seit 2000 ist dieser Tag nun Tag der Muttersprache – Bangladesch hat dies bei der UNESCO so beantragt.
So drastisch fällt das mit der Unterdrückung von Sprachen in der Regel heute nicht mehr aus. Aber viele Menschen dürfen offiziell nicht so reden, wie sie es zu Hause gelernt haben. Das gilt in vielen Ländern und es gibt auch in Deutschland vom Aussterben bedrohte Sprachen. In der aktuellen Diskussion hierzulande geht es aber um die Migrantinnen in Deutschland.
Der Vorschlag der CSU, Familien sollten zu Hause bitte deutsch sprechen, wenn sie hier eingewandert sind, gehört mit in diese Reihe: Wenn ich zu Hause nicht mehr sprechen kann, wie ich es als Kind gelernt habe, meine Gefühle und Gedanken nicht mehr ungefiltert ausdrücken soll – dann ist schon der bloße Gedanke eben nicht mehr witzig und absurd und „eben CSU“, sondern Unterdrückung.

Ich nehme diesen Gedenktag als Anlass, mir Gedanken über „Integration“ zu machen.
Integration ist in aller Munde. Sie wird vehement von denen gefordert, die hier bei uns eine neue Heimat finden wollen oder müssen, weil es in ihrer Heimat keine Zukunft für sie gibt. Der Begriff wird nur offensichtlich je nach Sprecherin unterschiedlich gefüllt:
- die Forderung nach der Befolgung von Gesetzen und Regeln
- die Forderung, sich den Gewohnheiten der Deutschen anzupassen
- die Forderung, auf z. B. religiöse Gewohnheiten wie die Verschleierung von Frauen, zu verzichten
Gerade die letzte Art der Forderung nimmt in der Diskussion besonders breiten Raum ein. Die Angst vor dem „Anderen“ hat inzwischen riesige Ausmaße – siehe die Diskussion um die inzwischen abgeflaute „PEGIDA“-Bewegung. Hier melden sich sonst stille Zeitgenossinnen mit sachlich unbegründeten aber eben existierenden Ängsten vor „Überfremdung“ zu Wort.
Letztlich aber ist der verschärfte Ruf nach Integration der nach einer Aufgabe von Identität. Und wer das fordert, bezeichnet die Beibehaltung von Gebräuchen oder eben Sprache als Zeichen mangelnder Integration. Dabei wird übersehen, dass eher gebrochenes Deutsch im eigenen Wohnzimmer alles andere als eine Garantie dafür ist, dass die Menschen wirklich Deutsch lernen. Wer die eigene Muttersprache aus mangelnder Übung nicht (mehr) beherrscht, hat auch schlechtere Chancen, eine neue Sprache korrekt zu erlernen.
Und zu den Gebräuchen – so anders als „wir Deutschen“ verhalten sich Migrantinnen nicht … Das zeigt eine Grafik von ZEIT online:
Die meisten treffen sich wie andere Menschen im Lande auch am häufigsten im Sportverein, gefolgt von Gewerkschaften und Berufsverbänden. Kulturvereine folgen erst auf Platz 6. Homoehe, Schwangerschaftsabbruch und Sterbehilfe werden prozentual gesehen genauso bewertet wie in der „einheimischen“ Gesellschaft, nämlich je nach Orientierung unterschiedlich: Liberale sehen das entspannter als religiös Traditionelle. Und das ist bei Katholiken oder Protesstantinnen nicht anders. Selbst Atheistinnen haben je nach Wertekanon da unterschiedliche Auffassungen. Warum bitte sollen die „Anderen“ denn jetzt eine einheitliche Linie vertreten?
Was viele da unter dem Begriff Integration fordern ist eigentlich eine Assimilation, also ein Ähnlichwerden – von lateinisch“similis„. Nix Multikulti – da steht die „Leitkultur“ fordernd vor den Menschen und verlangt alles: Sprache, Kleidung, Gebräuche.

Stellen Sie sich mal vor, das fände tatsächlich statt.
- Schnitzeltempel statt Dönerbude, Pizzeria oder Sushilokal
- nur „deutsche“ Menschen in der Alten- und Krankenpflege
- nur „deutsche“ Menschen auf Baustellen, bei den Müllwerkern und Putzkolonnen
Spätestens ab Punkt 2 gäb es doch ein großes Aufjaulen: Solche Jobs, nein danke.
Denn neben der Tatsache, dass hier Menschen arbeiten, die selber oder deren Eltern oder Großeltern erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder zu Beginn des 21. Jahrhunderts nach Deutschland kamen und unter denen es eben solche gibt, die nicht so flüssig die Landessprache sprechen, ist allen an Wirtschaft Interessierten klar: Der deutsche Arbeitsmarkt kann auf die nicht verzichten, die von „PEGIDA“ am liebsten über die Grenzen getrieben würden. Seit dem Beginn der Aufmärsche der fremdenfeindlichen „Deutschland“-Schreier werden entsprechende Stellen nicht müde, immer wieder auf die Bilanzen hinzuweisen:
- Menschen „mit Migrationshintergrund“ zahlen mehr in die Sozialsysteme ein, als sie rausbekommen
- die angeblich so hohe Kriminalität unter ihnen liegt an Straftatbeständen, die Deutsche nun mal nicht begehen können – davon bereinigte Statistiken zeigen kein anderes Bild von Straftaten als bei der Ursprungsbevölkerung
- ohne Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeberinnen mit fremden Wurzeln bräche die deutsche Wirtschaft ziemlich ein
Und zum Schuss: Drehen wir den Spieß doch einfach mal um.
Wenn Sie oder ich auswandern würden, aus welchen Gründen auch immer – würden wir in unserem neuen Zuhause, in der Familie, Englisch, Suaheli oder Chinesisch sprechen?
Doch eher nicht, oder?
Würden wir uns bemühen, die Landessprache zu erlernen?
Das auf jeden Fall – auch wenn es am Anfang nicht leicht ist. – Oder?
Würden wir – je nach eigener traditioneller Ausrichtung – auf die Feier von Geburtstag oder Namenstag, von Weihnachten oder Ostern verzichten?
Wahrscheinlich nicht, oder?
Warum um alles in der Welt sollen also Menschen, die hier leben und arbeiten auf ihre Sprache und Gebräuche verzichten?
Integration ja: sich an Gesetze zu halten, die Sprache möglichst gut zu beherrschen – das sind Kriterien, die ich für unverzichtbar halte, um irgendwo ein gutes Leben leben zu können.
Das ist Integration.
Was darüber hinausgeht ist Assimilation und sollte von denen entscheiden werden, deren Sprache und Gebräuche betroffen sind. Und da gibts ja auch graduelle Unterschiede, nicht wahr?
Und zu guter Letzt: Die eigene Muttersprache ist Grundlage unseres Denkens und auch Fühlens – niemand darf sie verlieren. Der Erwerb einer neuen Sprache öffnet dann Fenster in anderes Denken und ermöglicht Austausch. Deshalb ist es sinnvoll, die Sprache zu lernen, die da gesprochen wird, wo ich bin. Aber das gilt nicht nur für Migrantinnen in Deutschland.
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