Ich gebe es zu, als erstes hat mich das Umschlagbild gefesselt – Handarbeitsutensilien in Blau- und Grüntönen, dazu der schulschriftartige Titel. Also ich fands ansprechend. Auch den Klappentext – entgegen dem rückwärts gewandt wirkenden Bild war hier von einem Internet-Blog die Rede. Und dann noch die Namen: Jocelyne und Jocelyn – wie bei der Legende von Glück ohne Ende mit PaulundPaula in einem Wort. Das konnte doch nur eine schöne Lektüre sein.
Es ist eine gute Lektüre. Ein schön geschriebenes kleines Buch, in dem wir aus der Sicht von Jocelyne erfahren, wie es sich als „Kleinbürgerin“ in Arras lebt, mit einem Mann, der nach der Totgeburt der zweiten Tochter auf alkoholfreies Bier umsteigt, mit erwachsenen Kindern, die einem entwachsen sind, mit einem Handarbeitsladen, dessen Umsatz ihn gerade trägt, mit den abgelegten Träumen der jungen Jocelyne. Dieser Aufzählung zum Trotz: Jocelyne ist zufrieden, sie liebt ihr Leben, so wie es ist.In ihrem Blog schildert sie die Dinge aus ihrem Laden und ist völlig erstaunt, dass recht viele Menschen es lesen, ja, dass es ihnen wichtig ist. Auch das ein Umstand ihres Lebens, mit dem sie sich anfreundet – erst ist es ihr nämlich ein bisschen umheimlich.
Dann spielt sie Lotto. Und gewinnt! Wann soll sie Jocelyn informieren? Wie soll sie damit umgehen? Während sie noch überlegt, wird ihr die Herrschaft über die Situation entrissen – ganz am Ende steht eine andere Jocelyne.
Bis auf eine Passage erzählt Grégoire Delacourt den ganzen Roman aus Jocelynes Sicht. Der Bruch der Perspektive hat mich etwas gestört – aber ich kann nur die Wirkung dessen, was ist, auf mich benennen und keine zufriedenstellende andere Lösung anbieten. Ein Brief? Wäre auch nicht eleganter. Aus der Innensicht von Jocelyne versuchen, diesen Bruch darzustellen? Schwierig! Also: Ich weiß es nicht. Aber es bleibt eine Wunde in dem sonst so sauber konstruierten und durchgeführten Buch.
„Sauber konstruiert“ heißt hier nicht, dass es emiotionslos wäre oder ließe. Im Gegenteil! Durch die Innensicht habe ich die Gefühle von Jocelyne mit erfahren, ihre Entwicklung „mitgemacht“ – am Ende aber stehe ich der neuen Jocelyne fassungslos gegenüber.
Wenn ich jetzt noch mehr erzähle, verrate ich zu viel – lesen Sie es selbst und lassen Sie sich vom Ende der Geschichte einfangen. Lassen Sie sich auf Jocelyne und ihr Leben ein …
Grégoire Delacourt: Alle meine Wünsche, Hoffmann und Campe, Hamburg 2012, übersetzt von Claudia Steinitz, ISBN: 9783455403848
Rezensionen ab Mai 2013 erscheinen in meinem Literaturblog Kölner-Leselust.de.
Hella Terjung
Hella Terjung says:
18. September 2012 at 16:53
Ein kleines, feines Buch, das einen total überrascht. Man glaubt, zu wissen, was Jocelyne tut, oder man hofft zumindest, aber nein, sie reagiert anders.
Eins von den Büchern, die einen nachdenklich zurücklassen.
Was hätte ich getan?
Recherche-Meisterin
Hallo Hella, ich habe den überzähligen, inhaltlich gleichlautenden Kommentar bei der Lyrik-Lesung jetzt gelöscht.