„Wie wir im Internet entmündigt werden“ lautet der deutsche Untertitel von Parisers Buch. Im Original heißt es „What the Internet ist hiding from you“, also „Was das Internet vor Ihnen versteckt“.
Wie soll das gehen? Schließlich kann ich doch alles suchen, was mich interessiert.
Ja, schon, sagt Pariser, aber seit Google die personalisierte Suche eingeführt hat, bekommen Sie mit Ihren Interessen bei derselben Suchanfrage andere Ergebnisse als Ihr Partner oder Ihre Verwandte.
Nicht schlimm?
Hm. Wenn Sie auf eine Suchanfrage nur eine bestimmte Auswahl an Ergbenissen bekommen, die zu Ihrem gespeicherten Profil, zu Ihren Interessen passt, dann wissen Sie doch nicht, welche Antwortmöglichkeiten es noch geben könnte. Sie sehen sie nämlich nicht. Wenn Sie bei der Tageszeitung einen Teil überblättern, weil er Sie nicht interessiert, wissen Sie, dass es ihn gibt, vielleicht bleibt sogar eine Schlagzeile oder ein Bild hängen. Im Internet können Sie so nicht „blättern“. Sie wissen de facto nicht, welche Antwortmöglichkeiten noch existieren.
Wenn im Netz was kostenlos ist, sind meine Daten die Ware, um die es geht
Pariser geht in die Tiefe. Er schildert, wie sich Informationsvermittlung in Form von Zeitungen etabliert hat, wie sich personalisierte Suchergebnisse auswirken, wie Klickraten die Platzierung von Artikeln bestimmen und dergleichen mehr. Er entwirft ein beunruhigendes Bild unserer Informationsgesellschaft. Er erläutert, warum wir bei all‘ den kostenlosen Angeboten im Netz einen hohen Preis zahlen: Wir geben unsere Daten frei; so können Profile erstellt und zu Geld gemacht werden.
Es läuft darauf hinaus, dass wir eben nicht frei sind, zu finden. Wir können nicht unvoreingenommen Daten und Informationen aus dem Netz holen, weil immer ein Filter vorgeschaltet ist, der sich aus früheren Suchanfragen, unseren Postings in Sozialen Netzwerken und anderen Informationsschnipseln von und über uns im Netz zusammensetzt. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Informationen, die uns als KundInnen betreffen, sondern auch auf die, die uns als mündige BürgerInnen in einer Demokratie angehen. An einer Stelle spricht Pariser davon, dass auch Wahlwerbung personalisiert werden kann, so dass ich als mittelalte Frau andere Informationen von ein und derselben Partei bekomme als der Achtzehnjährige drei Häuser weiter oder meine Eltern auf dem Land. Er bringt konkrete Beispiele, in denen solche Personalisierungen schon eingesetzt werden (eine Werbetafel auf der Straße, die Frauen und Männer unterschiedlich anspricht!).
Die Filter Bubble durchlöchern
Im letzen Teil des Buches geht er auch darauf ein, was man dagegen tun kann. Das Internet ist ja nicht in Stein gemeißelt – es ist ständig in Veränderung und so kann auch die strikte Einschnürung von Informationen aufgrund der Filter Bubble wieder gelockert werden. Das verlangt aber einen bewussten Umgang der Einzelnen mit ihren Daten, eine Kontrolle durch den Statt und ein Bewusstsein für Datenfreiheit bei den Firmen, die ihr Geld im Netz verdienen, indem sie Daten weitergeben.
Als Rechercheurin komme ich mir ja ein bisschen so vor, wie die Leute, die Kundenkarten untereinander tauschen oder Punkte verschenken, um die Kundenprofile zu verwässern: Ich suche zu solch unterschiedlichen Themen im Netz, dass ein Profil zu erstellen nicht einfach ist. Aber trotzdem greife ich – und das schon vor der Lektüre dieses Buches – zu Hilfsmitteln, die mich weniger leicht fassbar machen, wie Suchmaschinen, die keine IPs notieren oder Add-ons, die gegen Tracking, also das Verfolgtwerden, im Internet helfen. Eine breit gefächerte Palette von Interessen erschwert tatsächlich die Profilerstellung – also seien Sie neugierig auf vieles, verlassen Sie auch mal Ihre normalen Informationswege im Internet.
Auf seinem Blog „The Filter Bubble“ teilte Pariser immer neue Informationen zu dem Themenkomplex mit, z. B., dass auch Twitter personalisierte Ergebnisse hat. Es handelt sich also um eine Never-Ending-Story – an der wir mitschreiben können, wenn wir uns der Relevanz unserer Daten und ihrer Feigabe im Netz bewusst sind.
Eli Pariser: Filter Bubble, Wie wir im Internet entmündigt werden, Hanser München 2012, übersetzt von Ursula Held, ISBN: 9783446430341
Belletristische Rezensionen erscheinen ab Mai 2013 in meinem Literaturblog Kölner-Leselust.de.
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