„Es war einmal“ gilt als der typische Märchenanfang besonders für die Grimmschen Märchen. Wenn ich aber mal meine Grimm-Bücher durchblättere – so oft wird das gar nicht verwendet- nach eigenhändiger (!) Zählung in meinem Band mit der größten Auswahl stehen 112 andere Anfänge den 76 Märchen mit „Es war einmal“ gegenüber; hinzu kommen 20 Märchen, die ähnlich wie „Es war einmal“ beginnen. Selbst die bekanntesten Klassiker beginnen anders: Hänsel und Gretel, Hans im Glück und Froschkönig zum Beispiel. Auch die Schlussformel „und lebten glücklich bis an ihr selig Ende“ ist nicht so häufig, wie man vermuten könnte.

Was macht es nun aus, dass diese beiden Formeln für uns mit Märchen, besonders aber mit Grimms Märchen verwachsen sind? Die im Grunde von Clemens von Brentano angestoßene Sammlung von Volkstexten entwickelte sich erst im Laufe der Zeit zu einer Märchensammlung. Brentano verwendete die ihm zur Verfügung gestellten Texte dann nicht und die Grimms machten alleine weiter. Sie fanden Menschen, die ihnen Märchen erzählten – allerdings selten die alten Mütterchen, die man sich bei solcher Feldforschung vorstellt. Schließlich befanden sich die Brüder Grimm in einer verfeinerten Gesellschaft – bürgerlich, gebildet und schöngeistig. Deshalb waren die Texte schon verändert, wenn Jakob und Wilhelm sie zu hören bekamen. Trotzdem waren einige davon immer noch zu „unzivilisiert“, um sie unbearbeitet herausgeben zu können. In meinem Studium habe ich die verschiedenen Ausgaben der Grimmschen Märchen kennengelernt – im Gebrauch war in den einhundert Jahren seit Erscheinen die siebte, die letzte und geglättetste. Da Kinder als Rezipienten schon früh im Vordergrund standen und Kindheit zur Zeit des Biedermeier eine wichtige Rolle spielte, galt es, die Texte dieser Lesergruppe anzupassen – Zotiges oder sonstwie Anstößiges hatte da keinen Platz. Formelhaftes kam Märchen immer schon vor – es hilft beim Erzählen. So bot es sich an, manche Eingangs- und Schlussformel mehrfach zu verwenden. Wie erfolgreich das Manöver war, ist nun wirklich bewiesen ;-).
Am 20.12.1812 erschien der erste Band der ersten Auflage der Kinder- und Hausmärchen. Diese 200 Jahre werden nun gefeiert – mit einer Briefmarke, mit Tagungen, Ringvorlesungen, Kongressen und Sonderausgaben von Märcheneditionen, Münzen und ergänzten Märchensammlungen.
Nicht nur bei Projekt Gutenebrg stehen Ihnen die Texte zur Verfügung – auch zeno.org hat eine Ausgabe bereitgestellt (in der es sich meiner Meinung nach leichter zurechtfinden lässt, es handelt sich aber „nur“ um die Erstausgabe, d. h., dass nicht alle Märchen drin sind). Auch vorlesen lassen können Sie sich die Texte bei librivox.org.
Vielleicht habe ich Ihr Interesse geweckt, selbst mal wieder in die alten Märchen reinzuschauen oder -zuhören oder sie sogar jemandem vorzulesen. Egal wie sehr Wilhelm und Jakob Grimm an den Texten gearbeitet haben – sie behalten einen Zauber, der über die Kindheit hinaus greift.
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