Die Digitale Bildungsrevolution von Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt.

Veröffentlicht in: Buchbesprechung, Bücher | 1

Um mal das Pferd von hinten aufzuzäumen: Im letzten Kapitel „Aussitzen ist keine Lösung“ bekam ich das heftige Nicken als ich Unterpunkt 2 der 10-Punkteliste von Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt las:

Ohne digital kompetente und in neuen pädagogischen Ansätzen versierte Lehrkräfte werden die besten politischen Ziele wirkungslos bleiben. Deshalb ist eine Reform der Aus- und Weiterbildung von Lehrern nötig.

Am liebsten würde ich den ganzen Absatz zitieren, den Sie auf Seite 176 finden. Ja, genau das ist nötig. Ein Umdenken, der Verlust von Angst vor diesen neuen Medien. Und das gilt nicht nur für Lehrerkollegien an weiterführenden Schulen. Auch die Lehrenden an den Hochschulen sind hier meiner Meinung nach gefordert.

In Mystic habe ich Altes und Modernes friedlich vereint gefunden
In Mystic habe ich in der Public Library Altes und Modernes friedlich vereint gefunden

Worum geht es im Buch von Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt?

Aber nun der Reihe nach. In ihrem Buch haben Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt anhand von Beispielen dargelegt, welche Formen digitalen Lernens weltweit schon erprobt werden und mit welchem Erfolg. Neben den MOOCs – also den Massive Open Online Course, deutsch riesiger offener Onlinekurs -, die auch in Deutschland schon durchaus bekannt sind, gibt es auch noch deutlich weitergehende Angebote, vor allem in Hinblick auf personalisiertes Lernen. Auf den ersten Blick erscheint ja die Kombination von „Masse“ und „personalisiert“ widersprüchlich. Doch es gibt Angebote, die diesen Widerspruch auflösen können. Hierbei handelt es sich um algorithmengestützte Angebote, die selber lernen. Sie berechnen aus den Daten vieler die Wahrscheinlichkeit, mit der beispielsweise jemand einen Kurs erfolgreich abschließen kann oder bieten aufgrund der individuell erfassten Daten beim Lernen gezielte Angebote, um Stoff zu vertiefen, zu wiederholen oder weiterzuentwickeln. Das heißt, dass Schülerinnen und Schüler oder andere Lernwillige eben nicht von „der Strange“ lernen, sondern individuell in ihrem Tempo und nach ihren Fähigkeiten Aufgaben bekommen.

Der Untertitel „Der radikale Wandel des Lernens und wie wir ihn gestalten können“ zeigt schon, dass es hier nicht um Petitessen geht. Und auch, dass nach der Meinung von Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt niemand Angst vor den damit einhergehenden Veränderungen haben muss.

Eigene Erfahrung

Was ich selber bei meinen Vorbereitungen zu den Lehrerseminaren der Akademie des Philologen-Verbandes mitbekommen habe, habe ich hier in komprimierter und wesentlich umfassenderer Form vorgeführt bekommen: Es gibt eine große Vielfalt von Angeboten für Lehrende sowie für Lernende, doch die rechtlichen Unsicherheiten gerade in Deutschland machen es schwierig, diese auch umzusetzen. Die Beispiele erfolgreicher „Massenabfertigungen“ von Schülern und Studierenden anhand solcher individualisierter Lernangebote habe ich als sehr ermutigend empfunden.

Die Geschichten dahinter

Die Vielzahl der Möglichkeiten digitalisierter Lernangebote wurde teilweise aus der Not heraus entwickelt, so haben z. B. Schulen an sozialen Brennpunkte digitalisierte Mathematik-Lernsoftware entwickelt, die es ermöglicht, dass Kinder individuell am Computer arbeitend den Stoff lernen können. Die Software merkt sich die Fortschritte, vergibt grüne, gelbe oder rote Punkte, die den Lehrenden gezeigt werden und diese haben dann Zeit, mit den Kindern individuell an Schwachpunkten weiterzuarbeiten. Das kann auf der einen Seite etwas vom Stoff her schwer Verständliches sein. Es kann sich aber auch um Umstände in der Lebenssituation der Kinder handeln, die da aufgefangen werden. Die Kooperation zwischen den Lehrenden ist hierbei sehr groß und das ist auch notwendig. Überhaupt bescheinigen Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt den Menschen, die sich mit solcher Art von Bildung für alle, oder zumindest für viele mehr als bisher, befassen, ein großes Engagement und eine große Bereitschaft, Inhalte miteinander zu teilen.

Verschiedene Möglichkeiten

Neben öffentlich gestellten Vorlesungen und Seminaren gibt es beispielsweise auch die Möglichkeiten des so genannten „Peer-Gradings“, also die Beurteilung von Aufgaben von Mitstudenten. Es ist ja klar, dass bei einer Vorlesung von mehreren hunderttausend Studierenden das Personal der Hochschule vollkommen überfordert wäre, die anfallenden Prüfungsleistungen zu korrigieren. Deswegen gibt es dieses „Peer-Grading“. Aufgaben werden anderen Studierenden zur Korrektur vorleget, mehrere beurteilen eine Aufgabe nach vorgegebenen Kriterien. Studien haben ergeben, dass diese Art der Beurteilung zu sehr ähnlichen Ergebnissen kommt wie die Beurteilung von der Lehrperson. Ein Nebeneffekt ist, dass die Erfolgsquote in solchen Kursen deutlich höher ist. Es kann vermutet werden, dass das auch daran liegt, dass Studierende sich mehr Mühe geben, wenn sie wissen, dass ihre Arbeit auch von Kommilitonen beurteilt und korrigiert wird; da möchte sich niemand eine Blöße geben. Ein weiterer Nebeneffekt: Wer die Lösungen anderer beurteilen soll, eignet sich den Stoff noch mal auf eine intensive Weise an. Und beim Peer-Grading betrifft das dann eben alle Studierenden – wahrscheinlich der einleuchtendere Grund, warum die Durchfallquoten hier signifikant niedriger sind.

Die Digitalisierung und die Durchdringung von Lernviten durch Algorithmen machen auch keinen Halt vor der Berufszukunft der – mehr oder weniger – jungen Leute. So gibt es bereits Angebote, bei denen die Fähigkeiten der Jobbewerber und die Anforderungen der Arbeitgeber für diesen Job durch Algorithmen miteinander verknüpft werden; so können zum Beispiel Menschen in Jobs geraten, oder zumindest zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden, die sonst keine Chancen haben, weil ihre Bewerbungsunterlagen nicht den ungeschriebenen Vorgaben entsprechen, entweder inhaltlich oder formal.

Neben den etablierten Abschlüssen einer Hochschule oder Fachhochschule oder einer Ausbildung, gibt es auch die Idee, Kenntnisse, die Menschen andernorts erwerben, so aufzubereiten, dass sie für Arbeitgeber lesbar und erkennbar und interessant sind. Die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens umfasst eben nicht nur standardisierte Weiterbildungsangebote, sondern auch die Fähigkeit, die Menschen beispielsweise in Hobby oder Ehrenamt oder im Sport erwerben. Wer einen Trainerschein macht, wer ihm Ehrenamt Verantwortung übernimmt oder sich neben Excel und anderen PC-Kenntnissen auch strategische andere Kenntnisse aneignet, kann dies in der Regel nicht für seinen Beruf oder die Einstellung in einen Beruf nutzen, auch wenn diese Kenntnisse sich im Beruf positiv auswirken. Die Auflistung von Interessen usw. am Ende eines Lebenslaufes, ist zwar informativ, gibt aber keinen Aufschluss über den Stand der Kenntnisse, es mangelt also an Vergleichbarkeit. Anbieter die solche Kenntnisse, solches lebenslanges Lernen, sichtbar mache wollen, sind durchaus schon in Aktion. Das Portal „Linkedin“ nutzt solche Angebote um Jobbewerber und einstellende Firmen miteinander in Kontakt zu bringen.

Mein Fazit

Ich habe das Buch von Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt mit großer Begeisterung gelesen. Viele Dinge darin finde ich absolut einleuchtend. Auch meine eher, ja ich sage mal, konservative Einstellung gegenüber Bildung an der Hochschule ist bei der Lektüre etwas ins Wanken geraten.

Die größte Hürde bei dieser Art von Bildungangeboten ist die der Datensicherung. In dieser Revolution des digitalisierten Lernens fallen Unmengen an Daten an. Diese werden von den Bildungsanbietern genutzt, um individualisiertes Lernen zu ermöglichen. Die Gefahr besteht dabei, dass der Bildungsverlauf eines jeden Menschen in die falschen Hände geraten könnte. Zum Beispiel, dass Arbeitgeber sehen wo Probleme in der Lernvita aufgetreten sind. Doch Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt haben in ihrem letzten Kapitel, mit dem ich ja angefangen habe, in meinen Ohren durchaus umsetzbare gesetzliche und rechtliche Vorschläge unterbreitet. Dabei greifen sie auf die negativen Erfahrungen in den USA zurück, wo eine entsprechende Gesetzesvorlage gefehlt hat und wo Rechtsstreitigkeiten die Haken und Ösen solcher Angebote offengelegt haben. So könnte man aus den Fehlern von der anderen Seite des Teichs lernen.

Eins ist auf jeden Fall wichtig und sicher: Im Hinblick auf digitalisiertes Lernen ist ein großes Umdenken notwendig. Das ist gilt für die Politik ebenso für die Menschen vor Ort, die die Angebote vermitteln sollen. Die Chancen digitalen Lernens, also der Vermittlung von Grundlagenkenntnissen über Online-Angebote beispielsweise, liegt darin, dass im eigentlichen Unterricht vor Ort der individuelle Kontakt zwischen Lehrenden und Lernenden möglich ist, sowie mehr Austausch und mehr Förderung möglich werden.

Im Großen und Ganzen empfinde ich die Vision, die Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt in ihrem Buch entwerfen, als eine große Chance und hoffe sehr, dass sich Politik, Gesellschaft und Bildungseinrichtungen in eine solche Richtung hin miteinander verbünden.

Jörg Dräger; Ralph Müller-Eiselt: Die digitale Bildungsreform. Der radikale Wandel des Lernens und wie wir ihn gestalten können, Deutsche Verlagsanstalt, München, 2015, ISBN: 9783421047090

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert