Blogwichteln 2022 – Maike Claußnitzer recherchiert ;-)

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Blogwichteln 2022 die zweite. Mir wurde Maike Claißnitzer zugelost. Ich freue mich sehr, dass sie noch einmal etwas zu ihren Romanen schreibt, die ich sehr mag (die Rezensionen finden Sie in meinem Bücherblog Kölner Leselust.) „Noch mal“ deshalb, weil sie mir schon in verschiedenen kleinen Interviews ein paar Fragen beantwortet hat, sowohl hier als auch auf der Leselust.

Besonders schön finde ich, dass Maike Claußnitzer den Beitrag auch selbst illustriert hat – Gjuki hilft Herrad bei einer kniffligen Recherche – eine farbige Zeichnung der Autorin herself *hachz*.

Die Fragen, die in meiner Mail an Maike Claußnitzer standen, sind kursiv gesetzt. Jetzt kommt sie selber zu Wort:

Im Rahmen des alljährlichen Blogwichtelns im Netzwerk Texttreff darf ich einen Text für Heike Ballers Recherche-Blog beisteuern. Da uns mittlerweile eine lange Onlinebekanntschaft verbindet und ich ein Fan ihrer Recherchetipps (und ihrer Haiku) bin, freut mich das besonders. Auf ihren Wunsch soll es hier um den Hintergrund meiner Romane und Geschichten gehen, die in einem verzauberten Frühmittelalter unter Beteiligung von Geistern, Drachen und Greifen in der fiktiven Stadt Aquae Calicis spielen. Hier kommen die Antworten auf die Fragen, die sie mir dazu gestellt hat.

Natürlich braucht es Wissen, um so eine Welt zu erschaffen

Woher nimmst du all das Wissen, das in deine Romane einfließt?

Mir viel Wissen zuzutrauen, ist zwar sehr freundlich, aber mit Geschichte und Literatur ist es wie mit allen anderen Fachgebieten: Je näher man sich damit befasst, desto deutlicher wird einem, wie lückenhaft das eigene Wissen ist und notwendigerweise auch immer bleiben wird.

Was ich weiß, geht aber auf eine wilde Mischung aus Lektüre, einem Germanistik- und Geschichtsstudium (jeweils mit Mittelalterschwerpunkt), Museumsbesuchen, gezielten Recherchen und – so peinlich es sein mag, das in einem Rechercheblog zuzugeben – völlig unsystematisch nebenbei erworbenen Kenntnissen zurück.

Was das betrifft, wird es Zeit, einmal meiner Mutter zu danken, denn ich kenne keine bessere Vermittlerin historischer Themen als sie. In meiner Kindheit und Jugend hat sie mir viel von berühmten Persönlichkeiten vergangener Zeiten, aber auch von alltagsgeschichtlichen Details erzählt. Außerdem hat sie ein gut bestücktes Bücherregal, aus dem ich mich immer bedienen durfte. Für beides bin ich unendlich dankbar, denn ich glaube, ohne diese Grundlagen hätten mir wichtige Ansatzpunkte für alles Spätere gefehlt.

Was sind deine Quellen?

Das kommt darauf an, in welchem Sinne wir von Quellen sprechen. Wenn es um Recherchequellen geht, sind sowohl gedruckte Fach- und Sachbücher als auch im Internet zugängliche Aufsätze und Artikel wichtig für mich. Online stöbere ich besonders gern bei JSTOR. Dort kann man derzeit kostenlos auf 100 Fachartikel im Monat zugreifen und findet zu vielen Themen nützliche Informationen.

Inspirationsquellen sind ein weiteres Feld und umfassen nicht nur literarische Texte (vom Hildebrandslied bis zu Rosemary Sutcliffs Romanen), sondern auch archäologische Funde (wie etwa die Tangendorfer Scheibenfibel und dieses Wikingergrab, die beide in leicht veränderter Form Eingang in meine Geschichten gefunden haben) oder schlicht Dinge, die mir im Alltag begegnen.

Falls es um ganz konkrete einzelne Quellen geht: Ein Text, den ich besonders mag und auf den als Quelle man aus meinen Büchern vielleicht nicht auf den ersten Blick schließt, ist De cultura hortorum (Über den Gartenbau) von Walahfrid Strabo. In dem Gedicht über Pflanzen und Gärtnertätigkeit lässt sich ungemein viel zwischen den Zeilen erkennen, das Weiterwirken einzelner Aspekte der Antike im Frühmittelalter ebenso wie die Tatsache, dass manche Dinge – ob nun der ewige Ärger mit dem Unkraut beim Gärtnern oder die Freude an selbstgezogenen Pflanzen – wirklich zeitlos sind.

Studium und Promotion – durchaus hilfreich, meint Maaike Claußnitzer

Wie viel von deinem Studium steckt da drin?

Viel und wenig zugleich. Auch wenn ich nach wie vor glaube, dass man kein Studium braucht, um für einen Roman zu recherchieren, bin ich natürlich froh, dass ich im Studium nicht nur alle möglichen Texte aus und über Mittelalter und Antike, sondern auch verschiedene Recherchetechniken kennengelernt habe (sei es nun das ganz klassische Bibliographieren oder die Suche nach – heute allerdings noch weitaus reichlicher als damals verfügbaren – Informationen im Internet).

Aber ein Studium und eine Promotion erfordern eine wissenschaftliche und dementsprechend distanzierte Auseinandersetzung mit literarischen Texten und historischen Quellen. Was für die Forschung stichhaltig ist, muss nicht unbedingt das sein, was dem eigenen subjektiven Empfinden entspricht. Mit einem Text wie dem Hildebrandslied, mit dem ich auch im Studium zu tun hatte, arbeitet man philologisch mit ganz anderer Zielsetzung, als ich es in Tricontium getan habe, um mir die Grundsituation von Vater und Sohn, die sich feindlich gegenüberstehen und erst einmal bemerken müssen, dass sie miteinander verwandt sind, auszuleihen.

Wie viel liest du an Fachliteratur, um Aquae Calicis und Umgebung nach deinem Wunsch und Willen zu gestalten und dabei keine groben Schnitzer zu machen?

„Grobe Schnitzer“ sind im Falle einer Fantasywelt glücklicherweise relativ. Anders als bei einem historischen Roman muss ich nicht darauf achten, dass meine Angaben der Wirklichkeit einer vergangenen Zeit – so gut man sie rekonstruieren kann – ent- oder zumindest nicht widersprechen, sondern nur darauf, ein in sich stimmiges und möglichst glaubwürdiges Ganzes entstehen zu lassen. Deshalb gehe ich auch ziemlich frei mit meinen Rechercheergebnissen um. So wird in meinen Geschichten oft gestrickt, obwohl in einer Epoche wie der geschilderten Nadelbinden als Handarbeitstechnik wahrscheinlicher wäre, Tee getrunken oder auf Papier geschrieben.

Lustigerweise sind Einzelheiten wie die oben genannten, bei denen ich durchaus damit rechne, dass jemand stutzig werden könnte, eigentlich nie diejenigen, auf die ich angesprochen werden. Stattdessen entdecken manche Leute vermeintliche Schnitzer, die keine sind – z. B. ist mir einmal gesagt worden, ein Bischof namens Alberich, wie es ihn in Aquae Calicis gibt, sei historisch doch wohl undenkbar. Alberich von Utrecht hätte sich bestimmt gefreut, das zu hören.

Aber zurück zu der Frage, die gar nicht so einfach zu beantworten ist, weil ich nicht alle Fachliteratur zur Romanrecherche lese. Auch abseits der Schreibvorbereitung verschlinge ich privat viele Sach- und Fachtexte einfach aus Neugier und zum Vergnügen. Informationen daraus gehen häufig in meine Bücher ein, ohne dass ich sie gezielt recherchiert hätte.

Generell hält sich die Anzahl von Romanen und Sachbüchern, die ich lese, wohl in etwa die Waage (vielleicht gibt es sogar einen leichten Überhang von Sachbüchern). So lautet die ehrliche Antwort auf die Frage „recht viel“, ohne dass ich genau beziffern könnte, wie viele Seiten da zusammenkommen.

Magische Wesen

Farbige zeichnung Frau mit braunem hochgestecktem haar an einem Tisch mit Bücher und Schreibmaterial. Ein kleiner Drach lugt über den Rand der Tischplatt . Signiert MC - Maike Claußnitzer
Herrad und Gjuki – geht es sum was Juristisches?

Zum Fragekomplex gehört auch, woher du dein Wissen über magische Wesen nimmst.

Für magische Wesen gilt doppelt und dreifach, was ich schon zum Thema „grobe Schnitzer“ in der Fantasy gesagt habe, denn eine objektiv richtige oder falsche Variante von Fabeltieren oder Gespenstern gibt es ja nicht. So kann ich bei der Schilderung von Drachen, Greifen oder Gespenstern meinen eigenen Vorlieben nachgeben. Allerdings lese ich neben Märchen, Sagen und literarischen Texten, in denen magische Geschöpfe aller Art vorkommen, durchaus auch Sach- und Fachtexte zu Fabelwesen in Literatur, Mythologie und bildender Kunst (und spreche diesbezüglich eine klare Leseempfehlung für Trolle von Rudolf Simek aus).

Wichtig finde ich auf alle Fälle, nicht nur unreflektiert die Vorstellungen zu übernehmen, die sich in der modernen Popkultur etabliert haben und oft von einem Werk ins andere weitergereicht werden. Zum Beispiel sind wir aus Filmen und Fantasyromanen vor allem geflügelte Drachen gewohnt. Sieht man sich zum Vergleich aber die altnordische Literatur an, sind dort flügellose Drachen häufig. Wenn man über einen Drachen schreiben möchte, hat man also die Wahl, und so ist Gjuki, der meine Romane durchstreift, kein Drache, der fliegt, sondern einer, der läuft und klettert – bei Bedarf übrigens auch auf Schreibtische, um bei wichtigen Recherchen zu helfen.

Porträtfoto Maike Claußnitzer - Frau mit dunklem kurzem Haar vor Bäumen, blaue Bluse unter blauem Pulli
Porträt Dr. Maike Claußnitzer, Foto: privat.

Der Link zu ihrer Website ist bereits im Text enthalten – Sie finden Maike Claußnitzer hier. Sie übersetzt Romane aus dem Englsichen und Französischen.

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