Ein Doppeltitel als sei er von Karl May für seinen Verleger Münchmeyer erdacht. Aber es handelt sich um eine Biographie des angeblichen Weltreisenden und Sprachkundigen. Geschrieben hat sie Helmut Schmiedt, seines Zeichens Professor für neuere deutsche Literaturwissenschaft in Koblenz und Autor zahlreicher Titel zu Karl May. Schon seine Dissertation befasste sich mit dem Mann, der als Volks- und Jugendschriftsteller von den literarisch Ambitionierten in den Keller der Trivialliteratur verbannt wurde. Karl May – so was las man als Kind oder Jugendliche unter der Bettdecke – als erwachsener Mensch aber doch nicht.
Helmut Schmiedt lässt das Leben des Möchtegern vor unseren Augen erstehen – seine bedrückende Herkunft, seinen Hang zu Fluchtphantasien schon in früher Jugend, seine Geschäftstüchtigkeit und sein erstaunliches Selbstbewusstsein. All‘ dies schildert er mit leichter Ironie, liebevoll und sachkundig. Und in einem wunderbaren Stil. Ich hatte das Vergnügen, den Autor selbst lesen zu hören und habe mich köstlich über seine Schreibe amüsiert – nicht despektierlich, sondern bewundernd. Wenn Sie ihn hören möchten: (Die Links sind nicht mehr aktuell gewesen udn deshalb gelöscht, H. B. im Juni 2022) Auf dieser Seite fanden Sie viele Termine rund um das Jubiläumsjahr von Karl Mays hundertstem Todestag – auch weitere Lesungen von Helmut Schmiedt. Beim ZDF war er auch zu Gast, zusammen mit Jürgen von der Lippe – bitte sehr.
Im Grunde ist dieser verschrieene Autor schon bewundernswert. Er hat es geschafft, innerhalb weniger Jahre aus einer aussichtlosen Existenz zu einem anerkannten Schriftsteller zu werden. Er hat verschiedene Medien seiner Zeit bedient und sich dabei stilistisch und inhaltlich auf ihre unterschiedliche Klientel eingestellt. Er hat zeitweise einen schier unglaublich großen Ausstoß an Manuskriptseiten produziert – ein wirklich fleißiger Mann.
Sein Absturz zu Beginn des neuen Jahrhunderts war nach Schmiedt zu großem Teil selbstverschuldet und vorhersehbar. Die Old-Shatterhand-Legende flog auf, seine Publikationen im Münchmeyer-Verlag wurden neu auf den Markt gebracht und kratzten am Bild des „Erziehers mit der Feder“, seine kriminelle Vergangenheit wurde aufgedeckt – reichlich Stoff, um einen Mann vom Sockel zu stoßen. Zeitgleich bemühte er sich um ein neues Image – Friede und Völkerverständigung, religiöse Toleranz und Gewaltfreiheit waren die Themen seines Spätwerks. In diesem Zusammenhang stand er in Verbindung mit Bertha von Suttner, die in ihm einen wichtigen Vertreter des Pazifismus sah. Weniger friedlich war Karl May in Zusammenhang mit den vielen Prozessen gestimmt, die er und seine Gegner anstrengten. Sein letztes Lebensjahrzehnt war davon geprägt.
Obwohl er tatsächlich nie jene Reisen machte, die er beschreibt, haben viele seiner Zeitgenossen ihn für einen „vielerfahrenen Mann“ gehalten, der „lange Zeit im Orient gelebt“ haben musste – so zitiert Schmiedt den Schriftsteller Rosegger (1877). Heute wissen wir, dass Karl May erst im Alter im Orient war – doch auch heutige Autoren zollen der Überzeugungskraft Mays ihren Tribut: „Bei Allah, dieser Karl Ben May hat den Orient im Hirn und Herzen mehr verstanden als ein Heer heutiger Journalisten, Orientalisten und ähnliche Idiotisten.“, so äußert sich Rafik Schami (!) über den Phantasiereisenden. Eigentlich doch kein Wunder, dass er jahrzehntelang der Abenteuerschriftsteller schlerchthin war. Andere Autoren seiner Zeit und dieses Genres sind schon lange in Vergessenheit geraten … Bei Karl May geschieht das erst jetzt – so langsam. Viele junge Menschen kennen zwar noch die Filmadaptionen – gerade auch die Animationsfilme -, aber kaum einer liest noch Karl May.
Ich lese Karl May immer wieder gern. Ich habe Freude daran, in den verschiedenen Ausgaben zu stöbern und zu schauen, welche Tendenz nun in welcher Ausgabe zum Ausdruck kommt. Das hängt nicht nur vom Verlag, sondern auch von der Zeit ab, in der sie erschienen sind. Von daher hat mir Schmiedts Abhandlung zu diesem Themenkomplex besonders viel Freude gemacht.
Insgesamt habe ich die Biographie mit Genuss und Erkenntnisgewinn gelesen und kann sie uneingeschränkt empfehlen.
Helmut Schmiedt: Karl May oder Die Macht der Phantasie. Eine Biographie, Beck Verlag, München 2010, ISBN: 9783406621161
Rezensionen ab Mai 2013 erscheinen in meinem Literaturblog Kölner-Leselust.de.
Luchen
Das sind jetzt aber viele Rezensionen- wird Ihr Blog zu einem Literaturblog?
Recherche-Meisterin
Nein, keine Sorge. Die montägliche Rubrik zu Recherchetipps bleibt und wenn mir da mal außer der Reihe was Interessantes begegnet, kommt das auch sofort ins Blog. Da ich gerne Literatur recherchiere, fallen dann eben auch Buchrenzensionen ab.
Helmut Schmiedt legt eine Analyse der Winnetou-Trilogie vorwww.koelner-leselust.de
[…] mit Gewinn und Genuss gelesen. Helmut Schmiedt ist ein ausgewisener Karl-May-Spezialisten, dessen Karl-May-Biographie ich 2012 rezensiert habe. Ein Vademecm zur Winnetou-Trilogie nennt Harald Eggebrecht in seiner […]